Neues aus Politik, Kultur und Wirtschaft » Nachrichten März 1987

Die Kampfsportbegeisterten unter den Kainskindern konnten es spätestens am 8. März in sämtlichen überregionalen Zeitungen lesen:

Der erst 21-jährige Schwergewichtsboxer Mike Tyson sicherte sich am Vortag mit einem Punktsieg über James Smith auch die WBA-Krone. Damit erlangt der jüngste Boxweltmeister aller Zeiten seinen bereits zweiten Weltmeister-Titel. Nun fehlt Tyson nur noch ein Sieg über Tony Tucker, dem Inhaber des verbleibenden IBF-Titels, um unumstrittener Weltmeister des Schwergewichts zu werden.

Falls jemand Eurer Kainiten das ganze via Fernsehen verfolgt haben sollte, könnt Ihr Euch hier die letzte Runde des Kampfes anschauen: http://www.youtube.com/watch?v=xwny82lH33o&feature=related.

Mitte März werden die Lokalnachrichten beherrscht von der Berichterstattung über eine Geiselnahme im Europa-Center. Teilweise berichten auch die überregionalen Zeitungen darüber:

GEISELDRAMA IM EUROPA-CENTER

Gestern Nacht fand im Europa-Center in Westberlin eine Geiselnahme statt, bei der es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Geiselnehmern und Geiseln kam, die zu mehreren Toten führten. Den Angaben zufolge zählte jedoch keine der Geiseln zu den Getöteten. Sämtliche der Geiseln kamen mit leichten Verletzungen davon.

Etwa ein Dutzend schwer bewaffneter Geiselnehmer war gegen späten Abend in ein Geschäftstreffen des Bauunterunternehmens Euro Found AG geplatzt, das diese in seinen Räumlichkeiten im Europa-Center organisiert hatte. Anlass für dies Treffen waren sowohl die Einstandsfeier des neu einberufenen Vorstandvorsitzenden Dr. Manfred Moltrau als auch Absprachen mit anderen Unternehmen aus der Hotel- und Baubranche hinsichtlich groß angelegter Bauprojekte im Berliner Stadtteil Reinickendorf.

Geleitet wurde die Geiselnahme von dem wegen Steuerhinterziehung und Erpressung bereits vorbestraften Rutgar Braun, der Polizeiangaben zufolge im Verdacht steht, als Anführer krimineller Organisationen auch Kontakte zur russischen Mafia zu haben. Zusammen mit seinen Komplizen stürmte er in den Konferenzsaal der Euro Found Ag, in dem gerade zahlreiche leitende Angestellte der Euro Found AG, sowie Vertreter der Buzzi Unicum SPA und Gladius GmbH und Co. KG versammelt waren. Die Verbrecher trieben die Geisel unter Schüssen zusammen, wobei neben anderen auch Dr. Manfred Moltrau schwer verletzt wurde.
Wie einige der Geiseln später berichteten, gab Braun an, im Austausch gegen die Geiseln zahlreiche inhaftierte RAF-Mitglieder freipressen zu wollen. Angesichts der Polizeiangaben erscheint dies Motiv jedoch zweifelhaft, gingen doch keinerlei Forderungen bei Polizei oder Regierungsbehörden ein. Vielmehr war es ein anonymer Hinweis, der die Polizei auf das Verbrechen aufmerksam machte.

Noch bevor die Polizei beim Europa-Center eintraf, hatten sich offenbar mehrere Geiseln befreien können und einen Fluchtversuch gewagt. Da die Geiselnehmer jedoch sämtliche Ausgänge blockierten, kam zwischen diesen und einigen Geiseln zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, bei denen fünf der Kriminellen getötet und mehrere Geiseln leicht verletzt wurden. Alarmiert durch die Schussgeräusche begann die Polizei sofort, das Gebäude zu stürmen. Sie konnten die verbleibenden Verbrecher stellen, als diese gerade versuchten, mit Wertpapieren und Bargeld in Höhe von 300.000 Mark aus dem Safe der Euro Found Ag zu entkommen.

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In einigen anderen Berichten misst man der Behauptung Brauns, die RAF zu unterstützen, mehr Gewicht bei. Dort wird ein Zusammenhang zu den verheerenden Giftgasanschlägen in Berlin hergestellt, die Zeichen einer neuen Terrorwelle der Roten Armee Fraktion darstellen würden.

Nachricht vom 24. März:

BRANDT WIRD GEGANGEN

Als sich der SPD-Bundesvorstand gestern in Bonn traf, bemühten sich die Akteure noch, den Eindruck einer ganz normalen Sitzung zu erwecken. Doch am Ende steht eine deutliche Zäsur: der Rücktritt des Mannes, der über fast ein Vierteljahrhundert an der Spitze gestanden hatte. "Wir werden die Szene beherrschen" - mit diesen Worten ging SPD-Geschäftsführer Peter Glotz gegen 13.15 Uhr in die Sitzung des Parteipräsidiums im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus. Drei Minuten später folgte ihm ein versteinert blickender Willy Brandt, der erstaunt tat über den Pulk von Fotografen, der die Gänge in der SPD-Baracke verstellte. Mit seinen beiden Stellvertretern Hans-Jochen Vogel und Johannes Rau sowie dem aus der saarländischen Landesvertretung herbeigeeilten Oskar Lafontaine hatte sich der SPD-Vorsitzende kurz beraten. Daß er auf dem Weg in die Präsidiumssitzung sein Rücktrittsschreiben in der unter den Arm geklemmten schwarzen Unterschriftenmappe schon bei sich trug, wußten nur wenige, ahnten einige.

Es war wiederum Peter Glotz, der in gespielter Fröhlichkeit der ungeduldig wartenden Journalisten zurief: "Wir werden heute alles entscheiden." Was dies aber sei, blieb auch hier offen. Und auch der Bremer Hans Koschnick versuchte, einen lockeren Eindruck zu machen: "Junge, Junge, seid ihr neugierig." Der schleswig-holsteinische Oppositionsführer Björn Engholm - er hatte nach eigenem Bekunden bei Schatzmeister Hans-Ulrich Klose zusätzliches Geld für seinen Landtagswahlkampf lockermachen wollen - blieb ebenfalls sibyllinisch. Darauf angesprochen, ob nun wirklich die Nachfolgefrage rasch entschieden werde, sagte er: "Noch zieren sich etliche - nach der Sitzung werden es weniger sein." Der Abgesang von Willy Brandt an diesem trüben und regnerischen Montag in Bonn vollzog sich zunächst zögernd und dann immer rascher.

Trouble um die "schöne Griechin"

Es begann mit der parteilosen Griechin Margarita Mathiopoulos, die erst eine Woche zuvor von Willy Brandt in das Amt der Parteisprecherin berufen worden war und die nun angesichts der anhaltenden harschen Kritik als erste aufgab. Den Tränen nahe verließ sie den kleinen Sitzungssaal im Erich-Ollenhauer-Haus, in dem das Präsidium tagte. Fürsorglich begleitete Glotz die 30jährige ins Büro. Sie mochte zu dieser Stunde noch glauben, daß mit ihrem Verzicht dem Vorsitzenden weitere Beschädigungen erspart bleiben könnten.
Den zweiten Akt bestritt Johannes Rau. Doch die Ereignisse waren schon viel weiter gediehen. Den zweiten Akt bestritt der stellvertretende Parteivorsitzende Johannes Rau. Er hatte schon, was manchen aufhorchen ließ, den ersten Teil der Sitzung des Parteivorstandes geleitet. Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel saßen ihm zur Seite. Dann kam er gegen 17 Uhr am Montagnachmittag aus dem Konferenzsaal mit jener Erklärung, die Brandt vier Stunden zuvor in die Beratungen der Führungsgremien hineingetragen hatte. Da trat ein wie befreit wirkender stellvertretender Parteivorsitzender vor die Kameras und sprach von der "Betroffenheit" der Partei angesichts der Entscheidung des Vorsitzenden. Doch ihm war in dieser Stunde anzumerken, daß eine Last von ihm abgefallen war. Er wirkte locker und zugleich entschieden.

Viele Mitarbeiter im Erich-Ollenhauer-Haus standen unter den Journalisten auf den Gängen, um das Szenarium mitzuerleben. Tränen flossen. Sie wollten die geschichtliche Stunde miterleben, den schweren Einschnitt in Geschichte und Gegenwart der deutschen Sozialdemokratie. In diesen Augenblicken war die junge Margarita Mathiopoulos längst vergessen. Willy Brandt hatte es ja selbst in der Begründung für seinen Abschied angeführt: Die Diskussion um die neue Parteisprecherin sei nur "ein Symptom" gewesen, sozusagen der letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

Anke Fuchs drängte in die Geschäftsführung

Die Entscheidung Brandts mußte natürlich auch die Diskussion um die Bestallung eines neuen Geschäftsführers in der Nachfolge von Peter Glotz in den Hintergrund drängen. In der "Baracke" spöttelte Björn Engholm: "Anke wirft den Hut täglich in den Ring, manchmal sogar fünfmal am Tag." Die couragierte Nevermann-Tochter Anke Fuchs, die ihre Kandidatur selbst vorangetrieben hatte, stärkte sich derweil mit Vitamin C: Den verzögerten Start in die Präsidiumssitzung nutzte sie zum Genuß einiger Apfelsinen. Derweil schaute Erhard Eppler mit graumeliertem Bart und dunkelblauem Seemannspullover scheinbar selbstzufrieden auf das Gewimmel um ihn herum. So wirkte mancher, als stehe Routine auf der Tagesordnung.

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etwas frei nach Klaus J. Schwehn


Willy Brandt - SPD